Palmsonntag 28. März 1915
Lieber Fritz!
Quittiere dankend Deinen lieben Brief vom 21.3. und besonders das hübsche Bild, über das ich mich herzlich gefreut habe. Deine Schwester, der ich es Deinem Wunsch entsprechend zeigte, und der ich nur gesagt hatte, sie solle mal suchen, es sei ein Bekannter darauf - konnte Dich zuerst nicht finden, weil Du so bescheiden aber wirkungsvoll - füge ich hinzu! Im Hintergrund stehst. Zusammen haben wir dann festgestellt, daß Du Gott sei Dank noch ganz gut aussähes. Laß Dich nur bald mal wieder (typen ???)*! -
An einen baldigen Frieden glauben wir hier selbst noch nicht - „Es sieht noch nicht danach aus“ sage ich immer in der Gemeinde, wenn ich, was häufig vorkommt, gefragt werde. “Chibs‘ bald Frieden?“ - Die Friedensgerüchte schreibe ich Dir nur, weil ich denke, daß sie Dich interessieren. Wie gerne glaubte man sie, wenn sie nicht allzu unwahrscheinlich wären. Es gibt auch hier Leute, die glauben, daß sich‘s noch anderthalb Jahre hinziehen könnte. Das will mir aber doch nicht recht einleuchten, die ganze Welt hat ja das Gleichgewicht verloren, sollte solch ein Zustand noch so lange andauern können? Was hier an Prophezeiungen etc. geleistet wird, übersteigt alle Begriffe. In jedem Nest wird plötzlich eine alte Handschrift, meistens aus dem 17. Jahrhundert entdeckt, die sich auf das genaueste über die gegenwärtigen Zeiten ausspricht. Die Leute im Dorf erzählen mir fortwährend von merkwürdigen Himmelserscheinungen, die ich aber leider noch nie selbst zu Gesicht bekommen habe. Die Phantasie des Volkes leistet Unfaßbares, sie treibt die tollsten Blüten. Schließlich ist‘s ja erklärlich. - Der Vetter, der Deiner Schwester vom baldigen Wiedersehen schrieb, ist derselbe, von dem Du mir so oft erzählt hast, Schönhaus- oder -hage, oder so ähnlich. Vielleicht meint er, er will auf Urlaub kommen qui sait? - Leider will‘s noch gar nicht recht Frühling werden, den zwei oder drei schönen Tagen, der alle Leute in die Gärten gelockt hatte, ist schleunigst wieder Frost und Schnee gefolgt. Es ist halt noch nichts mit dem sehnlichst erwarteten Wonnemond. Es geht ihm wie dem Frieden, er möchte noch kommen, kann aber nicht, und wir warten eben weiter. - Vater ist übrigens fest davon überzeugt, daß der Juni das Ende bringen müßte, er ist ein großer Optimist. Wünsche sehr, daß er Recht behält. - Es ist mir ja sehr schmerzlich, wenn Du nur selten schreiben kannst, wie in der letzten Zeit, aber ich weiß ja natürlich, daß Du Gründe dafür hast und bin mit allem zufrieden. Man freut sich eben doppelt auf einen Brief, wollte sagen „über“ wenn man länger warten mußte. Vielleicht wird‘s mal wieder besser! Am Mittwoch, abends um 6 Uhr findet am Hermann die diesjährige Bismarck - Gedenkfeier statt, die Du gewiß auch gern mitgemacht hättest. - Dr. Fuhrmann** muß nun doch los, hast Du in der Zeitung gelesen, daß seine Frau in seiner Abwesenheit die Geschäfte der G.m.b.H. Sanatorium Grotenburg übernimmt? -
Der Färber Koch in Detmold, den Du gewiß auch dem Namen nach kennst, muß nächstens auch eintreten, er muß sein Geschäft einfach zuschließen, wahrscheinlich kann er seine Frau nicht so einfach zu seiner „Geschäftsführerin“ einsetzen. - Ich habe acht Tage lang Ferien, - zum großen Reinemachen, welches hochwichtige Fest kriegshalber nur eine Woche dauern soll. In meiner Abwesenheit ist Frau Wolf, die Heiligenkirchener Hebamme zum Geschäftsführer ernannt. Eigentlich sollte mich Fräulein Watermeier vertreten, aber sie ist verreist. Frau „Schwammbeins“ in Hornoldendorf, die ich zweimal wöchentlich verbinde, sagte entsetzt, ne, die soll mir nicht ins Haus kommen, da gehe ich lieber nach Detmold und lasse mich vom Arzt verbinden! - und als ich ganz erstaunt fragte - Ja, hat Ihnen Fräulein Watermeier denn schon mal was getan? Sagte sie „Nein, das nicht, aber ich will nichts mit ihr zu tun haben!“ Ich war ganz verblüfft. - Mein Schwesterlein ist immer noch nicht zurück, ich glaube bald, sie will in Erfurt bleiben. -
29.3.
Gestern war ich in Detmold, wo ich einen Konfirmationsbesuch zu machen hatte. Ich habe mich über das Aussehen der Stadt mächtig gewundert - ich war lange nicht mehr Sonntags .....(Seite zuende, Rest fehlt)
*gemeint ist offenbar "fotographieren" ghk
** Nach Auskunft von Ursula Finne war Martha von Dr. med. Fuhrmann zur Gemeindeschwester medizinisch ausgebildet worden. Er war der Vater des Altphilologen Manfred Fuhrmann (1925-2005), den Ursula Finne, geb. Teutmeyer noch aus ihrer gemeinsamen Schulzeit kannte.