Heinrich von Gagern

Geboren 20. August 1799 in Bayreuth (Preußen - Heiliges Römisches Reich deutscher Nation) (heute Bayern)

Gestorben 22. Mai 1880 in Darmstadt (Hessen-Darmstadt - Deutsches Reich)

Konfession: evangelisch

31. März bis 3. April 1848 Mitglied des Vorparlaments

März bis Mai 1848 Ministerpräsident von Hessen-Darmstadt

18. Mai 1848 bis 20. Mai 1849 Mitglied der deutschen Nationalversammlung

19. Mai bis 15. Dezember 1848 Präsident der Nationalversammlung

17. Dezember 1848 bis 10. Mai 1849 Reichsministerpräsident, Reichsinnenminister und Reichsaußenminister

H.v.G. entstammt einem reichsfreiherrlichen Geschlecht und war der Sohn des Diplomaten Hans Christoph von Gagern. Er stand in der Tradition des 1806 untergegangenen Alten Reiches und war zugleich ein entschiedener Liberaler und stand in Opposition zu der Ordnung in Deutschland, wie sie der Wiener Kongreß und die Karlsbader Beschlüsse geschaffen hatten.

Als blutjunger nassauischer Unterleutnant noch verwundet in der Schlacht bei Waterloo, verließ er später die Armee und studierte Jura. 1818 war er Mitbegründer und Vorstand der Allgemeinen deutschen Burschenschaft.

Als Jurist und Regierungsbeamter rieb er sich an den Zuständen, wurde Abgeordneter und Anführer der liberalen Opposition in Hessen- Darmstadt und forderte Budgetrecht, Verantwortung der Regierung gegenüber dem Parlament, Verfassung und parlamentarische Vertretung auf der Ebene des Deutschen Bundes ein. Er trat als Publizist (u.a. „Deutsche Zeitung“ siehe Z.22), als Organisator von Protestveranstaltungen, als Verbandspolitiker in landwirtschaftlichen Vereinen und als Verwaltungsrat der Hessischen Ludwigs-Eisenbahn-Gesellschaft hervor.

H.v.G. pflegte den Kontakt zwischen den Oppositionellen. So traf er auch Hecker und Blum und die meisten der Liberalen, die auch später in der Nationalversammlung eine Rolle spielten.

Er wurde unmittelbar nach der Revolution zum hessischen Ministerpräsidenten berufen.

Sein Zusammenstoß mit Hecker war der dramatische Höhepunkt des Vorparlaments. Gagern setzte sich durch, und Hecker sah keine Chance mehr, für die Republik auf friedlichem Wege zu kämpfen.

H.v.G.s Wahl zum Präsidenten der Nationalversammlung geschah mit überwältigender Mehrheit. Seine Leitung der Sitzungen als Präsident prägte den Stil der gesamten Parlamentsarbeit.

H.v.G. sah in Preußen, das von allen deutschen Staaten die dynamischste wirtschaftliche Entwicklung genommen hatte und dessen Volksbildungswesen beste Ergebnisse hervorbrachte, in vieler Hinsicht ein Vorbild und unbedingt die Führungsmacht für das zukünftige Deutschland. Er hielt eine Republik in Europa für fehl am Platze und war davon überzeugt, daß nur eine Monarchie mit Verfassung und Parlament die Gegensätze versöhnen und den Rahmen für die Sicherung der Grundrechte gewährleisten könnte. H.v.G. wollte in der Tradition des Alten Reiches und in Übereinstimmung vor allem mit den Liberalen der süddeutschen Staaten auf keinen Fall einen Ausschluß Österreichs aus dem Deutschen Bund herbeiführen. In erster Linie um Österreich und das Haus Habsburg in den Prozeß fest einzubinden, betrieb er mit Erfolg die Wahl Erzherzog Johanns zum vorläufigen Reichsoberhaupt bis zur Wahl eines Kaisers. Durch die Wahl des Grafen von Leiningen zum Ministerpräsidenten sollte auch das britische Königshaus in den Prozeß der deutschen Einheit eingebunden werden.

Der Verlauf der Revolution in Wien machte dann die deutsche Einheit unter Einschluß Österreichs zumindest für die nahe Zukunft unmöglich. Gagern sprach sich jetzt für einen engeren (kleindeutschen) Zusammenschluß und einem weiteren Bund (mit Österreich) aus und übernahm die Nachfolge des ausscheidenden Schmerling als Ministerpräsident. Sein Nachfolger als Parlamentspräsident wurde Simson. Das Problem bestand jetzt darin, daß mit der kleindeutschen Lösung nur noch eine Option offen blieb und deren Erfolg hing allein davon ab, daß Friedrich Wilhelm IV. mit tat. Weigerte er sich, war alles verloren.

Mit der Verabschiedung der Verfassung und der Wahl Friedrich Wilhelms IV. zum deutschen (Erb-)kaiser hatte H.v.G. sein Ziel erreicht.

Mit der Ablehnung einer Krone, die ihren Ursprung in der Volkssouveränität und dem allgemeinen und gleichen Wahlrecht hatte, nicht in der Wahl der Fürsten von Gottes Gnaden durch Friedrich Wilhelm IV. war aber unerwartet das Projekt der Frankfurter Nationalversammlung gescheitert. H.v.G. zog die Konsequenz und trat zurück, als Erzherzog Johann am 10. Mai 1849 die Nationalversammlung auflöste.

H.v.G. war an führender Stelle beteiligt an dem Versuch mit der Mehrheit der außer-österreichischen Liberalen die Verfassung so zu verändern, daß König Friedrich Wilhelm IV. sie akzeptierte. (Wahl einer Volkskammer nach dem Dreiklassenwahlrecht statt nach gleichem Wahlrecht, Vetorecht des Kaisers gegen Parlamentsentscheidungen)

In Erfurt wurde im April 1850 eine solche Verfassung der „Deutschen Union“ von überwiegend norddeutschen Abgeordneten beschlossen. Gegen den Willen Österreichs (»Aus Deutschland hinauswerfen lassen wir uns nicht« Schwarzenberg) und gegen den Willen Russlands ließ sich das ohne Krieg nicht durchsetzen. Endgültig gescheitert waren alle Einigungsbemühungen, nachdem die Allianz der vier Könige (Hannover, Sachsen, Württemberg und Bayern) im Bündnis mit Österreich den Bundestag des Deutschen Bundes (im Gegensatz zum heutigen Bundestag die Vertretung der Länderregierungen) wiederherstellten.

H.v.G. zog sich aus der Politik zurück und ging als Major zur schleswig-holsteinischen Armee, die sich immer noch im Krieg um die Unabhängigkeit mit Dänemark befand.

Als Ende der 1850ger Jahre wieder Bewegung in die deutsche Frage gekommen war, engagierte sich der von Preußen enttäuschte H.v.G. bei dem großdeutschen Projekt, dem Reformverein, bis 1866 deutlich wurde, daß jetzt eine Einigung Deutschlands unter preußischer Führung ernsthaft betrieben wurde. 1871 hielt er im hessischen Landtag seine letzte Parlamentsrede, in der er die Kaiserproklamation von Versailles gegen reaktionäre und demokratische Kritik verteidigte. Der Zweibund mit Österreich (1879), der auch den Aspekt einer Versöhnung zwischen Hohenzollern und Habsburg und einer Klammer zwischen den im Alten Reich und im Deutschen Bund vereinigten Staaten schaffte, entsprach in etwa seiner Vorstellung vom engeren und weiteren Bund.

Unter den Personen, die die 1848 Revolution geprägt haben waren zweifellos einige mit Charisma ausgestattet (Robert Blum und Julius Fröbel wären zu nennen) aber Heinrich von Gagern und Friedrich Hecker ragen heraus.

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Gerhard-Hermann Kuhlmann 25.1.2005 (Version 1.2)